M. Baumann: Rauhe Sitten sind nicht Sünde

Cover
Titel
Rauhe Sitten sind nicht Sünde. Schiffer auf Aare, Reuss, Limmat und Rhein. Schwerarbeiter und Rebellen in vorindustrieller Zeit


Autor(en)
Baumann, Max
Erschienen
Baden 2014: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
118 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Anna Bähler

Zum wiederholten Mal nimmt sich der Aargauer Historiker Max Baumann der Geschichte der Schifffahrt auf den Flu_ssen des schweizerischen Mittellandes an. Die vorliegende Publikation, die 2014 als Band 17 in der Reihe Beiträge zur Aargauer Geschichte erschienen ist, geht vorerst auf die Bedeutung der Schifffahrt fu_r den fru_hneuzeitlichen Handel ein. Anschaulich zeigt Baumann auf, welche natu_rlichen und ku_nstlichen Hindernisse die freie Schifffahrt erschwerten, wie der Transport von Salz, Getreide, einigen weiteren Gu_tern und von Personen auf den Flu_ssen organisiert war, welche Mengen transportiert wurden, welche Akteure wieviel verdienen konnten und wer bei allfälligen Schäden haftete.

Den Fokus der Publikation richtet der Autor jedoch auf das Leben und die Arbeitsbedingungen der fru_hneuzeitlichen Schiffersfamilien, und zwar am Beispiel der Bewohnerinnen und Bewohner der Ortschaft Stilli. Stilli liegt unterhalb des Zusammenflusses von Aare, Reuss und Limmat, war erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts von den Landesherren auf Schenkenberg aus verkehrspolitischen Gru_nden gegru_ndet worden und ging 1460 an den Staat Bern u_ber. Weil der Boden, der zur Gemeinde gehörte, knapp war, spezialisierten sich die Bewohner auf Gewerbezweige, die mit dem Fluss zu tun hatten: auf den Fährbetrieb, die Fischerei und den Betrieb einer Mu_hle. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts arbeiteten immer mehr Männer aus Stilli als Schiffer, die den Gu_tertransport flussaufwärts und flussabwärts u_bernahmen. Ihr Beruf erforderte den Einsatz von viel Körperkraft und ständige Konzentration, denn einige Flusspassagen waren wegen Kiesbänken, Felsen oder Stromschnellen gefährlich und vor allem bei Hochwasser schwierig zu befahren. Zudem veränderten sich die Strömung und damit auch die schiffbaren Rinnen bei jedem Hochwasser.

Gemäss Baumann u_bertrug sich der ständige Existenzkampf, den die Stiller auf dem Wasser auszufechten hatten, auch auf den Existenzkampf auf festem Boden. Konflikte gingen die Einwohner von Stilli mit viel Kampfbereitschaft an. Sie scheuten keine Prozessgegner, weder das Kloster Königsfelden noch die Stadt Brugg, noch den Staat Bern. Vor Gericht vertraten sie ihre Interessen selber, im Gegensatz zu den Bauern der Umgebung, die jeweils die Unterstu_tzung von Advokaten in Anspruch nahmen. Die Bewohner von Stilli setzten sich beispielsweise energisch ein fu_r ihre Weiderechte in den Nachbargemeinden, fu_r Fischerei- und Fährerechte und fu_r die Existenz ihres Gasthauses. Als Schiffer gerieten sie in Konflikt mit Eigentu_mern von Flussufern, denn sie waren fu_r den Gegenzug auf intakte Uferwege angewiesen. Untereinander und mit der Konkurrenz aus andern Dörfern und den Städten stritten sich die Stiller Schiffer darum, wer wann welche Transporte u_bernehmen durfte. Weitere Kontroversen drehten sich um Forderungen nach höheren Löhnen sowie um Zölle und Gebu_hren, welche die Schiffer zu leisten hatten und zu umgehen versuchten. Um nicht u_bers Ohr gehauen zu werden, mussten die Schiffer verhandeln, feilschen und die von Staat zu Staat verschiedenen Währungen und unterschiedlichen Gesetzesbestimmungen kennen.

Manche Konflikte verschuldeten die Schiffer selber, weil sie die Grenzen der Legalität nicht nur ausreizten, sondern gelegentlich auch u_berschritten. Dies zeigt der Autor exemplarisch am Salzfuhrprozess von 1757/58, der sich mit Salzdiebstählen von Stiller Schiffern befasste. Erst durch langwierige Verhöre gelang es dem Landvogt, den Verfehlungen auf die Spur zu kommen, denn die Stiller und ihre Angehörigen verfolgten die Strategie, jeweils nur das zuzugeben, was ihnen nachzuweisen war. Längere, gut in den Text eingebundene Zitate aus den Prozessakten geben einen anschaulichen Einblick in die Verhöre. Überhaupt ist das Buch von Max Baumann unterhaltsam zu lesen. Es fu_hrt die Leserinnen und Leser in die Geschichte eines Gewerbes ein, das bis weit ins 19. Jahrhundert fu_r den Handel unentbehrlich war, mit dem Aufbau des Eisenbahnnetzes aber u_berflu_ssig wurde. Sehr interessant sind die zahlreichen Abbildungen, die auch bildlich einen Einblick in den heute weitgehend vergessenen Beruf des Flussschiffers und seine mitunter gefährliche Schwerarbeit geben.

Zitierweise:
Anna Bähler: Rezension zu: Baumann, Max: «Rauhe Sitten sind nicht Su_nde». Schiffer auf der Aare, Reuss, Limmat und Rhein. Schwerarbeiter und Rebellen in vorindustrieller Zeit. Baden: Hier und Jetzt 2014. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 52-53.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 52-53.

Weitere Informationen